Alpha, Beta, Gamma, Delta, Epsilon – so begann eines der Lieder des großen Reformationsmusicals, das seinerzeit unter der Leitung von Bettina Ley in der Matthäuskirche aufgeführt worden war. Es ist ein fröhliches Lied. Es erinnert die Zuhörer*innen daran, dass das Neue Testament in Griechisch verfasst ist und Martin Luther und Philipp Melanchthon es genau vor 500 Jahren, 1521, begannen, es als Gemeinschaftswerk ins Deutsche zu übersetzen.
Das griechische Alphabet kommt uns in diesen Tagen ganz anders ins Bewusstsein. So werden seit geraumer Zeit die mutierten Varianten des Coronavirus benannt. Bis Delta hatten wir noch mitgezählt. Die Delta-Variante sei eine sehr gefährliche, die sich zudem auch sehr schnell verbreite und nunmehr die vorherrschende sei. Damit hatten wir uns abgefunden – darauf haben wir uns eingestellt. Wir haben begonnen, Termine für eine Booster-Impfung zu vereinbaren. Bei mir konnte bereits am Donnerstag diese Impfung vorgenommen werden.
Und dann das: Omikron. Welcher Buchstabe im griechischen Alphabet ist das überhaupt? Wissen Sie das? Es ist sage und schreibe der 15. Buchstabe von insgesamt 24 (der 24. ist das zweite O, das lange, also das Omega) – ich habe es nachgesehen. Die 10 Varianten zwischen Delta und Omikron sind nicht so gefährlich, deshalb wurde nicht darüber geredet und wir haben nichts davon mitbekommen.
Nun also Omikron. Geht jetzt das ganze wieder von vorne los? Der Ministerpräsident vom Saarland spricht gar von einer „Stunde Null der Pandemiebekämpfung“.
Was ist jetzt das richtige Verhalten? Was sind jetzt die richtigen Maßnahmen?
Und heute am 1. Advent für uns die Frage: Hat Gott uns verlassen? Und hat Gott uns uns selbst überlassen?
Wir hören heute seine Verheißung: Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, dass ich dem David einen gerechten Spross erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regiert und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: „Der Herr ist unsere Gerechtigkeit.“
Gottes Wort ist immer in eine spezifische Zeit mit ihrem jeweiligen Kontext gesprochen und dann aufgeschrieben worden. Gleichzeit hat es aber eine Bedeutung für alle Zeiten und will immer wieder neu, aktual, verstanden und interpretiert werden. So auch dieses!
Versuchen wir es.
Zunächst: Es kommt die Zeit. Sie ist noch nicht da. Sie bezieht sich aber auch nicht auf die Zeit nach dem Tod. Wir leben vielmehr auf sie hin. Und in diesem Leben vertrauen wir dieser Zusage Gottes. Ein gerechter König, zudem ein Nachfahre des großen Herrschers David, wird verheißen. Als Christinnen und Christen glauben wir, dass Jesus durch die Linie seines irdischen Vaters Josef, dieser unmittelbare Nachfahre und somit dieser gerechte König war, den Gott gesandt hat. Doch wissen wir alle auch, dass Jesus selbst keine leiblichen Kinder hatte. Gleichzeitig sprach er aber immer von sich und allen, die ihm nachfolgen, von Kindern Gottes. Geistlich sind also wir alle durch die Taufe auch Kinder und Nachkommen und Erben Davids und Gottes.
Auch aus uns, der Gemeinschaft der Kinder Gottes, zu denen alle gehören, die auf den Namen des dreieinigen Gottes getauft sind, und – so verstehen wir das Geheimnis, von dem Paulus im Römerbrief schreibt – auch unsere jüdischen Schwestern und Brüder, aus uns also wird auch ein solcher gerechter Herrscher, möglicherweis auch eine gerechte Herrscherin erwachsen.
Vielleicht erscheint uns dieses Wort zu groß oder auch missverständlich – geht es um einen weltlichen, also politischen Herrscher oder um einen geistlich-religiösen? Uns kann helfen, die direkt voranstehenden Verse zu beachten und in unsere Überlegungen mit einzubeziehen. Gott ist nämlich unzufrieden mit den Hirten, die die Herde seiner Weide umkommen lässt und zerstreut. Deshalb will er und wird er Hirten aus seiner Weide berufen und einsetzen, die die Herde weiden sollen, so, dass sie sich nicht mehr fürchten noch erschrecken noch heimgesucht werden!
Diese Verheißung Gottes beeindruckt mich zutiefst – das möchte ich gestehen!
Auch bei einer Seuche, die über die Welt, ja über die Schöpfung, ja über die Menschheit ausbricht, können wir mit diesem alten Wort von „Heimsuchung“ sprechen. Und ja, auch die aktuelle Seuche, die Corona-Pandemie führt bei uns Menschen zu einem Fürchten und einem Erschrecken. Ich kenne Menschen, die, obwohl sie zweimal geimpft sind, sich aktuell nicht trauen, sich mit anderen Menschen außerhalb der eigenen Familie zu treffen. Ganz zu schweigen von denen, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Darin soll schließlich also die Aufgabe, ja das Handeln dieser vielen (nicht nur einer) Hirtinnen und Hirten bestehen: Die Herde weiden, dass sie sich nicht mehr fürchten, nicht mehr erschreckt werden und nicht mehr vom Todesengel, der die Menschen nur so dahinrafft, heimgesucht werden. Es geht also um eine verantwortliche Haltung und besonnene Entscheidungen – auch weiterhin in dieser Pandemie, auch und gerade angesichts von Omikron!
Wie das geht? Nun, wir sind nicht die ersten, die es mit einer Seuche nationalen oder auch globalen Ausmaßes zu tun haben.
Nachdem nämlich die Übersetzung des Neuen Testaments durch Martin Luther und seinem Team vollendet war – am Alten Testament arbeiteten sie noch – , brach die Pest aus in Europa. In Wittenberg brach sie 1527 herein. Angesichts dessen schrieb Martin Luther und verbreitete es im ganzen Reich:
Luther schrieb, als 1527 die Pest in Wittenberg ausbrach:
„Wenn Gott tödliche Seuchen schickt, will ich Gott bitten, gnädig zu sein und der Seuche zu wehren. Dann will ich das Haus räuchern und lüften, Arznei geben und nehmen, Orte meiden, wo man mich nicht braucht, damit ich nicht andere vergifte und anstecke und ihnen durch meine Nachlässigkeit eine Ursache zum Tode werde.
Quelle: Luthers Werke, Band 5, Seite 334f
Wenn mein Nächster mich aber braucht, so will ich weder Ort noch Person meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen. Siehe, das ist ein gottesfürchtiger Glaube, der nicht tollkühn und dumm und dreist ist und Gott nicht versucht.“
Ist damit nicht auch alles notwendige für uns und unseren Umgang mit der Corona-Pandemie gesagt? Ich lese und höre dies und denke: „Ja, Martin Luther ist im Sinne der Verheißung Gottes, die wir beim Propheten Jeremia lesen, ein guter Hirte gewesen. Ich möchte versuchen, dies in dieser Zeit für die Menschen, zu denen ich gewiesen bin und Verantwortung übernommen habe, auch zu sein.“ Und wisst ihr was? Das schöne an unserer ev.-luth. Kirche ist, dass niemand die Gemeinde alleine leiten muss, schon gar nicht nur ein Mann alleine, sondern dass wir ein gewähltes und berufenes und eingesetztes Team haben, dessen Mandat es genau ist, zu leiten und zu führen und alles dafür zu tun, dass keine Gefahr von Zusammentreffen ausgeht, gleichzeitig aber auch, dass sich Furcht und Schrecken nicht weiter ausbreiten. Vielmehr aber, dass Gottes Wort nicht nur erinnert, sondern auch ausgelegt und verstanden wird, sodass seiner Verheißung auch Glauben geschenkt werden kann.
Hat Gott uns also uns selbst überlassen? Am Ende unserer Überlegungen können wir wohl sagen: Nein.
Vielmehr erweckt er immer wieder Hirtinnen und Hirten und befähigt sie, im Sinne seiner Verheißung zu wirken und von ihm noch weiteres darüber hinaus zu erwarten. So ist es nur folgerichtig, dass wir heute am 1. Advent, auch mitten in dieser 4. Welle singen und hören:
Tochter Zion, freue dich! Jauchze laut, Jerusalem! Sieh, dein König kommt zu dir! Ja, er kommt, der Friedefürst. Tochter Zion, freue dich! Jauchze laut, Jerusalem!
Amen