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Komm mir nicht zu nah!

Diakon Carsten Lehmann, der einige Jahre als Krankenhausseelsorger im Marienhospital tätig war, hat am vergangenen Mittwoch eine Morgenandacht im NDR gesprochen.

Gerne können Sie diesen Text z.B. am Samstag um 11.30 Uhr laut oder leise in Ihrer Andacht lesen. Zu diesem Zeitpunkt treffen sich sonst immer Christinnen und Christen aus ganz Osnabrück zum Friedensgebet in der St. Marienkirche.

„Ich bin jetzt freiwillig in Quarantäne.“ Diese Nachricht hat mir ein guter Bekannter geschickt. Er hatte Kontakt zu einem Corona-Infizierten. Das hat mich beschäftigt. Ich habe versucht, mich in das Gefühlsleben von isolierten Menschen zu versetzen. Dabei fiel mir eine Erzählung aus dem Matthäus- Evangelium ein.

Jesus begegnet da einem Menschen, der wegen seiner Krankheit isoliert worden war. Er darf nicht mehr an der Gemeinschaft teilnehmen. So versuchte man sich damals wie heute vor Ansteckung zu schützen. Wir kennen ja die Regeln: Kein Händeschütteln, Abstand halten, regelmäßiges Händewaschen, Ansammlungen von Menschen vermeiden – alles absolut richtig. Wir wissen, wie sich das Virus überträgt.

In dem Evangelium kommt nun aber dieser Kranke auf Jesus zu. Eigentlich muss er sich fernhalten, sogar jeden, der sich zufällig nähert, warnen: Komm mir nicht zu nahe! Welche Not muss den Kranken gequält haben, dass er die Abstandsgebote verletzt.

Und Jesus? Bleibt er in sicherer Entfernung? Nein! Jesus hat Mitleid, im Originaltext heißt es, er war ergriffen. Jesus lässt sich ergreifen von der Not, er begreift die Sehnsucht nach Heilung und Gemeinschaft. Und dann heilt er diesen Menschen, indem er ihn mit der Hand berührt, die Distanz aufhebt, ihn so zurück in die Gemeinschaft holt. Heilung geschieht im Evangelium immer wieder durch Berührung. Im Markus Evangelium heißt es sogar: Alle, die ihn berührten, wurden geheilt.

Heilung geht also im wahren Sinn des Wortes durch die Haut. Berührung ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Das soziale Wesen Mensch – ob Säugling oder alter Mensch – verkümmert ohne solche Nähe. Wie, so frage ich mich, wird sich eine Gesellschaft verändern, die – im wahren Sinn des Wortes – auf Abstand geht?

In der jetzigen Situation gibt es dazu keine Alternative. Aber es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie Gemeinschaft möglich bleibt. Vielleicht digital, vielleicht durch ein freundliches Lächeln, vielleicht durch eine schöne Geste der Begrüßung, vielleicht durch einen Brief oder die Frage, die Jesus so oft stellt: Was kann ich für dich tun?

Vielleicht auch durch mehr Anerkennung der vielen Pflegerinnen und Pfleger und des ganzen medizinischen Personals? Klar, sie sind in erster Linie die Profis, die ihre fachliche Arbeit leisten. Aber genauso wichtig ist: Sie sind da, sie pflegen und berühren. Und sie heilen! Immer wieder! Sie sind ein Segen.

Amen

Hinweis:
Unter dem folgenden Link können Sie die Morgenandacht auch hören:
https://www.ndr.de/ndrkultur/Komm-mir-nicht-zu-nah,audio656362.html

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